Beitrag
über das Sammeln von Werbe- u. Reklamebildern: |
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01. Herausgeber: |
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Brunnenverlag Willi Bischoff, Berlin |
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02. Buchtitel: |
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„Rumpelstilzchen 1932/33" |
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02.3 Größe des Buchs: |
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13,5
x 19,0 cm |
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03. Herausgeberdatum: |
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1933 |
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04. Seitenanzahl: |
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349
+ 2 Seiten Werbeanzeigen |
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07. Beitrag in dem Buch
(Auszug): |
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07.01 Seite 118 |
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07.02 Seite 119
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07.03 Seite 120
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"Übersetzung" für
diejenigen, welche die "Deutsche Schrift" nicht oder nur schwer
lesen
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können:
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"Von 50 Sextanern sammeln
bestimmt 45 irgend etwas. Selten nur noch Marken; das ist heute zu
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teuer. Auch Steinsammlungen und
Schmetterlingssammlungen sind so gut wie abgestorben. Ich hatte |
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als Junge sogar eine Münzsammlung, in der ein
Denar Alexanders des Großen und ein Siegestaler |
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von Fehrbellin mein besonderer Stolz waren. Das
alles ist heute nichts mehr für Kinder. Sondern - |
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sie sammeln Serienbilder aus Zigarettenschachteln.
Fast alle Fabriken haben Serienbilder: Abdulla |
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Autos, Lloyd Kriegsschiffe, Garbaty Flugzeuge,
Klub Schönheitsköniginnen, Josetti Filmkünstler, |
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Lande Schauspieler oder Blumen aus Seide, die
Firma Oberst bringt Uniformen der alten Armee, |
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andere Trachtenbilder, Karikaturen; die Serien
umfassen, soviel ich weiß, meist 100 Bilder, gehen |
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aber bis zu 216 hinauf, und jede Serie ist ein
kleines Album für eine Mark käuflich, wo man die |
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Bilder Nummer für Nummer einklebt. |
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Sie stammen natürlich nicht aus
der Packung "selbstgerauchter" Zigaretten. Die Buben sammeln im
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Alter von 6 bis 12 Jahren. Familienmitglieder
(nicht zu knapp die große Schwester) und Väter |
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rauchen die entsprechenden Marken. Wer nun fünfmal
hintereinander zu Hause dasselbe Bild, etwa |
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"Spätburgund" in der
Trachtenserie, erhält, der möchte dafür natürlich Bilder eintauschen, die er
noch
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nicht hat, und versucht dies in der Schule. Das
ist da mitunter so arg, dass es verboten werden mußte. |
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Die Kinder hatten für nichts anderes mehr Sinn. Auf dem Katheder dozierte der Studienrat, draußen |
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tobte der Berliner Lärm, die Schüler aber dachten
nur an ihre Tauschgeschäfte und kalkulierten, ob |
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sie für eine langgesuchte Nummer – gewöhnlich wird
nur 1:1 getauscht – am Ende doch zwei andere |
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geben sollten. |
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Die Jungens interessiert alles
Technische und Militärische. Verdecke ihnen ein Bild, so dass nur ein
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Eckchen zu sehen ist, so sagen sie trotzdem
sofort: "Kreuzer Königsberg" oder "Austro-Daimler- |
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Kabriolett" oder "Garde-Pioniere"
oder "B.M.W. 500". Die Mädel – auch Backfische noch – |
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sammeln Filmdarsteller und Schönheitsköniginnen
und kunstseidene Blumen, welch letztere |
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geschmacklose Produkte auf Mantelkragen, Kissen,
decken oder gar – das ist schon Greuel über |
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Greuel – auf
Kavaliertaschentüscher, sogenannte Poussierwimpel, genäht werden. |
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Ist das Tauschen und Kaufen – für einen Kreisel, ein altes
Taschenmesser, einen Bleistift, ein selbst-
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gemachtes Heft, um von Bargeld nicht zu sprechen –
in der Schule verboten, so macht man es vor |
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ihr. Oder man geht zu einer Zigarettenbilderbörse.
Eine befindet sich auf dem Bayerischen Platz, am |
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Brunnen. Da stehen seit Monaten 4 oder 5 – sagen
wir – Makler, Arbeitslose von etwa 25 Jahren mit |
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ihren Koffern von Serienbildern, sortiert und
gefüllt. Sie tauschen 1:2, machen also immer ein |
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hundertprozentiges Geschäft. Oder sie verkaufen
das gewünschte Bild, wenn sie es haben, zu 3 |
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Pfennigen das Stück. |
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Auch das sozusagen Börsenpublikum unter sich steht
und handelt in Gruppen. Alles in tiefem Ernst, |
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ganz bei der Sache. Eines ist ja unsere Jugend
viel mehr als alle ihre Vorgänger: geschäftlich einge- |
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stellt. Mitunter standen bis zu 150 Buben und
Mädel auf den beiden Treppen zu Seiten des Brunnens, |
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so dass die Polizei genötigt war, den Verkehr
aufzulockern. |
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Auf ein paar Minuten habe ich mir den Betrieb da
mal angesehen. Es sind größtenteils Buben und |
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Mädel aus guten Familien, aber hier sprechen sie
nicht hochdeutsch, hier berlinern sie. Eine junge |
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Dame ist mit mir. "Freiln, wat
sammelnse?", fragt sie ein Junge. ""Lloyd!", sagt sie.
Und er: "Wat |
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hamse denn?" Darauf sie: Den Meteor, Kreuzer
Emden, Linienschiff Hessen." Da lacht der spöttisch: |
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"Mehr nich? Hörnse uff, sa ick Ihnen!"
Nebenan bietet ein vielleicht 12jähriges Mädchen für die ihr |
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noch fehlenden 13 "seidenen
Schauspieler", nach denen sie schon lange vergeblich angelt, eine ganze |
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Serie Flugzeugführer. Meist haben die Kinder alle
fehlenden Nummern im Kopf. Wenn Englisch und |
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Geschichte und Mathematik ebensogut säßen, wären sie Musterschüler. |
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"Ick sammle!" |
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Wer das von sich sagen kann, der gehört zur
Menschheit von Klasse. Was, das wollen die Eltern |
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nicht begreifen? Huch nee, schon das, was man
dabei spielend lernt! Und: wenn man auch sonst alles |
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herumliegen lässt, das Sammeln macht ordentlich.
Jede Serie gebündelt. Dann in die Schachtel, die |
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Schachteln in den Kasten. Und nun erst die Buchführung!
In den Serienlisten alles richtig angekreuzt: |
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ein Blick, da hat man seine Bilanz. Ich wünsche
allen Kindern Komplettierung ihrer Serien, dann ist |
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Weihnachten diesmal herrlich. |
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22. Dezember 1932." |
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War das nicht eine herrliche Zeit. Interessant wäre, wenn es noch Zeitzeugen dieser bewegten |
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Zeit geben sollte und diese sich auch noch melden
würden. Ich bin gern bereit Erlebnisse einzelner |
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Zeitzeugen hier zu veröffentlichen. |